Aus dem Leben der Kirchengemeinde Ortelsburg nach dem 2.Weltkrieg - 1955.
Aufgezeichnet 1952 - 1955, von Kurt Rattay
“Neujahr in Ortelsburg”
2. Januar 1955
Da in der Sylvesternacht ein Gottesdienst statt fand, wurde der erste Gottesdienst im neuen Jahr auf
den Sonntag verlegt. Die Ortelsburger Posaunengruppe begleitete den Gesang der Gemeinde in der
Kirche. Nach dem Gottesdienst fand im Gemeindesaal noch eine Geburtstagsfeier statt, an der gemischte Chor,
die Gitarren und die Posaunengruppe teilnahmen. Bei dieser Gelegenheit wurden die Antwortbriefe
der Soldaten, die im Krieg, an der Front, Weihnachtspäckchen erhalten haben, vorgelesen.
Hör niemals auf dich so zu offenbaren, wie wir's bis an den heut'gen Tag erfahren.
Verherrliche an uns Herr deinen Namen. Oh'n Ende-, Amen!.
“ Amtseinführung des Herrn Pfarrer Jagucki”
23. Januar 1955
Schon lange vor Beginn des Gottesdienstes versammelte sich die Gemeinde in der festlich geschmückten
Kirche. Unter den Klängen der Posaunengruppe aus Altkirchen, betrat der Kirchenrat,
der sich schon vorher im Pfarrhaus versammelt hatte, gefolgt von Pfarrer Jagucki, Pfarrer Pilch,
Pfarrer Wittenberg, Superintendent Frischke und Bischof Kotula die Kirche. Nach dem Gitarrenlied
"Bis hierher hat mich Gott gebracht" und zwei Chorliedern, folgte die Amtseinführung, welche Bischof
Kotula sowie Superintendent Frischke und Pfarrer Wittenberg durchführten. Als Zeugen waren Pfarrer
Pilch und ein mir unbekannter Pfarrer dabei. Bein Ausgang spielte vor der Kirche die Posaunengruppe
aus Altkirchen. Die Ortelsburger Posaunengruppe empfing Pfarrer Jagucki in seiner Wohnung, auch
während der Mittagstafel sorgte sie für den festlichen Rahmen. Nach dem Mittagessen hielten Bischof
Kotula, Superintendent Frischke, Pfarrer Wittenberg, sowie einige Mitglieder des Kirchenrates noch
kurzgehaltene Ansprachen. Nachdem die Posaunengruppe noch ein gemeinsames Lied mit den Anwe-
senden angestimmt und eine feierliche Motette vorgetragen hatte, verliessen wir um 17:00 Uhr das
gastliche Pfarrhaus.
Für die Sache unsres Meisters, lasst uns wirken früh' und spät,
dass nicht eh' das Werk vollendet, unsre Sonne untergeht.
“ Geburtstag unseres Chordirigenten”
28. Februar 1955
An einem Sonntagnachmittag versammelten wir uns in Rohmanen, um unseren Chordirigenten, der sich
gerade auf dem Wege nach Ortelsburg befand, mit einem Lied der Posaunengruppe und einigen
Chorliedern zu überraschen. Nachdem ihm einige Geschenke überreicht wurden, begaben wir uns
zurück zu seinem Haus. Dort wurden wir mit Kaffee und Kuchen empfangen. Nach dem Essen sangen
wir Lieder, bis schließlich Pfarrer Jagucki mit seiner Frau eintraf. Diesem Umstand hatten wir es
zu verdanken dass wir noch einmal bewirtet wurden. Nachdem Pfarrer Jagucki noch eine Kurze An-
dacht gehalten hatte, verliessen wir nach einem Dankgebet und Lied, um 21:30 Uhr, das gastliche
Haus unseres Chordirigenten.
Amen, Amen, Amen. Ehre sei dem Namen,
Jesu Christi unseres Herrn, denn er segnet uns so gern.
“ Pfarrer Jaguckis Geburtstag”
21. März 1955
Um 18:00 Uhr versammelten wir uns im Gemeindehaus um Herrn Pfarrer Jagucki zu seinem Geburtstag
zu gratulieren. Es wurden Lieder des Gitarren- und des gemischten Chores, unterbrochen von
Gedichten vorgetragen. Pfarrer Wittenberg aus Passenhein hielt danach noch eine kurze Ansprache.
Leider mussten uns Pfarrer Wittenberg mit seiner Frau, die auch anwesend war, kurz darauf verlassen.
Es wurden dann Süssigkeiten herumgereicht, sowie vier Alben, die die verflossene Dienstzeit von
Pfarrer Jagucki auf Fotos darstellten. Nach einem Dankgebet und Lied war die Feier zu Ende.
Draussen erwartete uns ein heftiges Schneegestöber, das uns auf dem ganzen Heimweg begleitete.
Amen, Amen, in dem Namen, meines Jesu halt ich still.
Es geschehe und ergehe, wie und wann und was er will.
“ Ausflug nach Aweyden”
8. Mai 1955
Weil die Eisenbahnverbindung so ungünstig war, fuhren wir schon am Sonnabend um 16:40 Uhr von
Ortelsburg los. Vom Bahnhof in Puppen wurden wir mit zwei Pferdefuhrwerken abgeholt, so dass wir
mit hereinbrechender Dunkelheit in Aweyden ankamen. Wir wurden dort unter die Gemeindemitglieder
verteilt, die für uns eine Übernachtungsmöglichkeit vorbereitet hatten. In der Nacht stellte sich
ergiebiger Regen ein, der noch in den Morgenstunden anhielt. Um 9:00 Uhr begann das Missionsfest, zu
welchem wir eingeladen waren. Anwesend waren Pfarrer Jagucki, Pfarrer Buchholz aus Bartenstein,
Pfarrer Malek aus Ukta, und Pfarrer Dosch aus Aweyden, sowie die Kirchenchöre aus Aweyden, Peitschendorf
und Ortelsburg. Die Posaunengruppen aus Aweyden und Altkirchen trugen ebenfalls zum Gelingen
dieser großartigen Veranstaltung bei. Nach Beendigung des Gottesdienstes, der bis 14:00 Uhr dauerte
wurden wir im Gemeindesaal mit Kaffee und Kuchen bewirtet, dazu sang der gemischte Chors aus
Aweyden einige Lieder. Nachdem wir noch im Pfarrhaus und Gemeindesaal einige Lieder gesungen
hatten, machte Pfarrer Jagucki den Mitgliedern des Kirchenrates einige Fotoaufnahmen. Die Zeit verging
sehr schnell, so dass wir sehr überrascht waren, als zwei Pferdefuhrwerke ankamen, die uns zum
Bahnhof nach Puppen bringen wollten. Auf dem Heimweg begleitete uns ein wahres Ausflugswetter.
Die Sonne lachte uns entgegen und wurde nur hin und wieder von kleinen Schäferwolken verdeckt.
In Puppen angekommen, besichtigten wir noch die dortige Kirche, um dann wieder zum Bahnhof zurück
zukehren. Mit einbrechender Dunkelheit kehrten wir mit dem um 19:09 Uhr, abfahrenden Zug, heim.
Lasst uns ziehn in Jesu Namen, er ist eine gute Wehr,
In ihm werden wir besiegen, unser Feinde ganzes Heer.
“ Konfirmation in Ortelsburg”
6. Juni 1955
Schon lange vor Beginn des Gottesdienstes versammelte sich die Gemeinde in der festlich geschmückten
Kirche. Zu den Klängen der Posaunen, betraten die Konfirmanden das Gotteshaus. Die Einsegnung
wurde von Pfarrer Jagucki durchgeführt. Anwesend war waren aus Aweyden, der gemischte Chor, der Männerchor
und die Posaunengruppe. Pfarrer Dosch aus Aweyden war auch dabei. Am Nachmittag hielt eine
Gemeindeschwester im Gemeindesaal eine kurze Ansprache. Um 17:00 Uhr wurde die Evangelisationswoche,
die in der vergangenen Woche stattfand, mit einer kurzen Andacht beendet.
Das Größte kann vollbringen wer auf den Knien ringt,
wer auch in Nacht und Kerker noch Dankespsalmen singt.
Er weiss dass Gottes Wege nie enden in der Nacht,
dass auch nach Sturm und Wetter die Frühlingssonne lacht.
“ Ausflug der Ortelsburger Sonntagsschule”
26. Juni 1955
In diesem Jahr unternahm die Ortelsburger Sonntagsschule einen Ausflug nach Waldsee. In einer am
See gelegenen Kiefernschonung wurden wir mit Kaffe und Kuchen bewirtet. Das glasklare Wasser
und die warme Luft luden förmlich zum Baden ein. Viele nutzten diese Gelegenheit auch aus. Am Nachmittag
erschien auch Pfarrer Jagucki und hielt eine kurze Andacht. Dabei überraschte uns ein Gewitterregen,
so das wir im nahen Dorf Zuflucht suchen mussten. Als der Regen nachliess, fuhr Pfarrer
Jagucki wieder zurück nach Ortelsburg, um dort einen Gottesdienst zu halten. Eine Stunde später
machten auch wir uns auf den Heimweg.
Hört ihr des Hirten Stimm, so bang, wie sie durch Berg und Wüsten drang,
Schafe die von der Herd' verirrt, sucht immer noch der treue Hirt'.
“ Ausflug nach Finsterdamrau”
31. Juli 1955
Nach dem Gottesdienst, der in Ortelsburg um 8:00 Uhr begann, fuhren wir mit der Eisenbahn nach
Groß Schiemanen, wo wir auch an einem Gottesdienst teilnahmen. Von Groß Schiemanen nach
Finsterdamrau gingen wir zu Fuß. Dort wurden wir von der Familie Pawelzik sehr freundlich aufgenommen
Zuerst besichtigten wir das Dorf, dann begaben wir uns in den nahe gelegenen Wald, wo Pfarrer
Jagucki in Gottes freier Natur, noch eine kurze Andacht hielt. Als wir ins Dorf zurück kehrten, wurden
wir noch einmal mit Kaffee und Kuchen bewirtet. Die sinkende Sonne, welche über einem herrlichen
Julitag unterging mahnte uns zur Heimkehr.
Nimm du meine Hände an, zeig mir wie ich dienen kann.
nimm die Füsse, mach sie flink, dir zu folgen, deinem Wink.
“ Konfirmation in Ortelsburg”
4. September 1955
Um 9:00 Uhr betraten die Konfirmanden, von Pfarrer Jagucki geführt, die Kirche. Es waren alles ältere
Jahrgänge, die auf diesen Tag in einem verkürzten Konfirmandenunterricht vorbereitet wurden. Anwesend waren
der gemischte Chor, sowie Pfarrer Firla, aus Sorquitten. Während der Einsegnung spielte der blinde
Chordirigent auf der Geige, Motetten von Johann Sebastian Bach. Nach dem Gottesdienst wurden
noch Gruppenaufnahmen gemacht, damit die Konfirmanden auch noch in fernerer Zukunft, ein greifbare
Erinnerung an diesen Tag haben werden.
Laß mich dein sein und bleiben, du treuer Gott und Herr,
von dir lass mich nichts treiben, halt mich bei reiner Lehr.
Herr lass mich nur nicht wanken, gib mir Beständigkeit,
dafür will ich dir danken, in alle Ewigkeit.
“ Nachtrag”
16. Mai 2006
Hiermit enden die Aufzeichnungen aus der Zeit von 1952 - 1955. Ab 1956 begannen, durch
die Vermittlung des Deutschen Roten Kreuzes, die ersten Ausreisen in die Bundesrepublik Deutschland. Zuerst waren
es Kinder die zu ihren Eltern ausreisen durften, Familien deren Väter aus der Kriegsgefangenschaft in den
Westen Deutschlands entlassen wurden und andere durch den Krieg getrennte Familienangehörige.
Ab 1960 erhöhte sich die Zahl der Ausreisewilligen aus dem polnisch besetzten Ostpreußen. Es setzte sich die
Überzeugung durch, daß unsere angestammte Heimat, uns für die Zukunft keine Perspektive mehr bieten konnte. Meistens
wurden die Anträge, die wir an die Passabteilung in Allenstein stellen mußten, um einen Ausreisepass zu bekommen,
negativ beschieden. Nach mehrmaligen Versuchen gelang es dann doch, diese begehrte Ausreiseberechtigung in Empfang zu
nehmen. Die Enttäuschung der Zurückgebliebenen war groß, wenn wiedermal Verwandte oder Nachbarn, den Weg in Richtung
Bahnhof einschlugen.
Durch eine kurze Unterbrechung in den Jahren 1964 - 1967 ließ die Ausreisewelle etwas nach, aber
dann dauerte sie ungebremst bis in die erste Hälfte der siebziger Jahre fort. Danach war auch dieser Teil Ostpreußens,
wie zuvor schon der russisch besetzte, von der deutschen Bevölkerung fast vollständig verlassen. Damit wurde auch
das nach Kriegsende wiedererweckte kirchliche Leben, auf Sparflamme zurückgefahren. Viele Kirchengebäude wurden nun dem
Zuständigkeitsbereich der evangelischen Synode entzogen und der nun polnischen, katholischen Bevölkerung,
übergeben. Zu diesem Zeitpunkt ging eine, seit der Reformation, über viele Jahrhunderte währende,
durch viele Höhen und Tiefen geprägte, Epoche der evangelischen Kirche im südlichen Ostpreußen zu Ende.
Ein Schiff das sich Gemeinde nennt, fährt durch das Meer der Zeit
Das Ziel das ihm die Richtung weist, heißt Gottes Ewigkeit.
Und wenn uns Einsamkeit bedroht, wenn Angst uns überfällt:
Viel Freunde sind mit unterwegs auf gleichen Kurs gestellt.
Das gibt uns wieder neuen Mut, wir sind nicht mehr allein.
So läuft das Schiff nach langer Fahrt in Gottes Hafen ein.